Das Hakenkreuz von nebenan
Nicht nur im öffentlichen Diskurs und in Parlamenten werden rechtsextreme Weltanschauungen sichtbar. Vielerorts muss man nur mit offenen Augen durch die Straßen laufen, um sichtbare Spuren rechtsextremer und neonazistischer Ideologie zu finden. Das ist kein lokales Phänomen und schon gar kein neues.
Was sich verändert hat, ist das Auftreten der Neonazis. Das klassische Bild von Neonazi-Skinheads mit Bomberjacke und Springerstiefeln ist längst überholt. Immer wieder nutzen Rechtsextreme bewusst Strategien und Protestformen von Antifaschisten und Linksautonomen. Die sogenannte Anti-Antifa beispielweise ist eine Kopie der antifaschistischen und autonomen Strukturen nach rechts. Strategien wie der Schwarze Block als Schutz der Personen, das sportliche Auftreten und die Symbole werden hier in leicht veränderter Form genutzt, um neonazistische Inhalte auf die Straße zu tragen. Die Identitäre Bewegung gibt sich als aktionistische Organisation, die neue Begriffe findet und junge Menschen mit einem hippen und modernen Auftreten anspricht. Sie sprechen von „ethnokultureller Identität“ und „Remigration“ statt von „Deutschland den Deutschen“ und „Abschiebungen“. Immer wieder werden auch Codes genutzt, die auf den ersten Blick harmlos wirken und deren tatsächliche Botschaft nicht von allen verstanden wird. Üblich sind hier Abkürzungen wie NS für „Nationalsozialismus“, HH für „Heil Hitler“ oder AH für „Adolf Hitler“. Diese Abkürzungen werden häufig in Zahlencodes geschrieben. Hier ersetzt die Position eines Buchstaben im Alphabet dann den eigentlichen Buchstaben. HH wird also als 88 geschrieben und AH hat den Code 18.
Graffiti und Sticker Teil der öffentlichen Kommunikation
David Janzen ist Fachjournalist aus Braunschweig mit dem Schwerpunkt extreme Rechte. Er berichtet: „Die organisierte Neonazi-Szene in der ganzen Region ist recht klein und überschaubar. Bei Kundgebungen und anderen öffentlichen Aktivitäten kommen die auf höchsten 20-30 Personen, die dann meist aus der ganzen Region zwischen Harz und Heide herangekarrt werden.“ Aktiv sind in Braunschweig die Jungen Nationalisten, kurz JN, die Jugendorganisation der NPD. „Das sind so zehn bis fünfzehn Personen, ebenfalls aus der ganzen Region.“ Bis Januar 2018 gab es noch das Kollektiv Nordharz, eine rechtsextreme Vereinigung, die in ihrem Logo „Hammer und Schwert“ – ein Symbol der Hitler-Jugend und des Strasser-Flügels der NSDAP. „Die Aktivisten des Kollektivs sind nun in der Partei Die Rechte gewechselt. Auch hier dürften es so ca. 10 Leute sein.“ Auch die Identitäre Bewegung ist nach Informationen von David Janzen mit ca. 10 Leuten in der Region aktiv und verklebt Sticker. „Es gibt dann natürlich noch kleinere Grüppchen oder Cliquen, z.B. fallen eine Handvoll Nachwuchs-Nazis rund um Lengede auf, die teilweise auch bei JN-Aktivitäten dabei sind, Leute bedrohen und dort auch Hakenkreuze schmieren.“ Anfang Juni 2018 soll in Goslar der 10. Tag der Deutschen Zukunft stattfinden, dessen Ausrichter das aufgelöste Kollektiv Nordharz sein sollte. Aber auch viele andere rechte Strukturen mobilisieren zu diesem bundesweiten Treffen. So zum Beispiel die JN aus Braunschweig mit einem Banner auf einer Demo in Peine.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Graffiti und Aufkleber mit Hakenkreuzen, Zahlenfolgen, Codes sowie kryptischen oder eindeutig rechtsextremen Botschaften, die sich an vielen Orten finden lassen, nicht bloß „dumme Jungenstreiche“ sind. Sie sind Teil einer öffentlichen Kommunikation von rechtsextremer Gesinnung, auch hier in der Region 38. Solche Aktionen erfordern keine große Anzahl von Personen, sodass auch die überschaubare Zahl der organisierten Rechtsextremen in der Region eine Vielzahl an Stickern und Graffiti in ihrer Umgebung verbreiten kann. Wie lange solche Botschaften hängen bleiben, zeigt die Position oder zumindest Ignoranz vieler Passanten.
Links gegen Rechts als Straßenkampf
Aber nicht alle Menschen sind mit diesen Botschaften einverstanden. Weswegen nicht alle rechtsextremen Botschaften lange sichtbar bleiben. Rafael* wohnt in Salzgitter und ist immer wieder mit seinen Freunden abends unterwegs, um rechte Graffiti zu übersprayen und rechte Sticker zu entfernen oder zu überkleben. „Für mich spielt Toleranz und Akzeptanz eine große Rolle. Ich finde jeder Mensch hat - egal in welchem Staat - eine Existenzberechtigung. Rechte Propaganda und Weltanschauungen sehen das anders, wollen Menschen unterdrücken und stellen damit die Gleichheit der Menschen in Frage. Und das gilt es zu verhindern. Ich bin ganz klar für Toleranz, Akzeptanz und gegen Rassismus und Faschismus.“ Aus diesem Grund will er rechtsextremer Ideologie keinen Raum geben, weder in Form von Demonstrationen noch als Graffiti oder Sticker auf der Straße. Aber auch die Zahl der Personen, die rechte Propaganda abreißt, überklebt und übersprayt ist nach seinen Aussagen relativ überschaubar - zumindest in Salzgitter.
Dennoch findet man auch viele linke Sticker und Graffiti in den Straßen der Region, die nichts überkleben, sondern eine eigene Botschaft präsentieren wollen. Auch hier werden Zahlencodes genutzt, wie z.B. 161, was für AFA also Antifaschistische Aktion steht. Teilweise scheint es ein kleiner Straßenkampf zu sein, welche Sticker die Straßenzüge dominieren - rechts oder links. Je nachdem, in welchem Ort man in der Region unterwegs ist, dominieren entweder linke oder rechte Sticker das Straßenbild. Nur selten sieht man Botschaften von beiden Seiten, ohne dass Sticker überklebt wurden. Rafael positioniert auch unabhängig von rechten Aktivitäten eigene Botschaften mit linken Stickern und Graffiti in der Öffentlichkeit. „Ich finde es wichtig, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass einiges falsch läuft und mit welchen Problemen wir es zu tun haben. Viele interessieren sich nicht wirklich für Politik und rutschen über die Politikverdrossenheit dann in rechte Kreise ab. Ich will Probleme ansprechen und Kritik üben. Und ich glaube, dass Graffiti und Sticker ein Teil davon sein können.“
*Name geändert