Die letzte Fahrt der Titanic
Zwei Stunden vor Beginn des Konzerts ist es ruhig in der Neumünsteraner Seitenstraße, in der die Gaststätte „Titanic“ liegt. Ein roter Opel fährt vor und zwei breit gebaute Männer in Lederwesten steigen aus. Mit erhobenen Mittelfingern in Richtung der Fachjournalist:innen begeben sie sich in die Gaststätte. Geschlossene Gesellschaft steht handgeschrieben auf einem Blatt Papier an der Metalltür, das lieblos aus einem Collegeblock ausgerissen wurde. Um 20 Uhr soll hier die Band „Kategorie C – Hungrige Wölfe“ spielen.
"Kategorie C - Hungrige Wölfe" (kurz: KC) gilt als Hooligan-Band und ist laut hessischem Verfassungsschutz ein Bindeglied zwischen der Hooligan-Szene und dem Rechtsextremis¬mus. Die Konzerte tragen zur Mobilisierung und zum Zusammenhalt der Szene bei und schaffen dadurch eine Möglichkeit zur Rekrutierung für die rechtsextremistische Skinhead-Szene und Neonazi-Szene, heißt es beim hessischem Verfassungsschutz. Sie sind dabei nicht die erste rechte Band, die in der „Titanic“ spielen. Die Gaststätte gilt als Treffpunkt der rechten Szene. Anfang 2020 spielte die Neonazi-Band „Oidoxie“ aus Dortmund in der Kneipe.
300 Meter von der Gaststätte und eine Polizeiabsperrung weiter sammeln sich gegen 18 Uhr rund 100 Antifaschist:innen zur Gegendemo. Unter dem Motto "'Kategorie C'-Konzert stören - Titanic versenken" hatte die "Antifaschistische Aktion Neumünster" zur Demonstration mobilisiert. Die Demonstrant:innen sind auch aus Hamburg, Kiel und Flensburg angereist, um gegen das Konzert zu demonstrieren. Zügig und laut zieht die kleine Demonstration am Bahnhof von Neumünster los. "Alle zusammen gegen die Titanic" rufen die Aktivist:innen. Hinter dem Fronttransparent weht eine rote Fahne der „Antifaschisten Aktion“. Mit schwarzen Schirmen schützen sich die Demonstrant:innen in den ersten Reihen gegen unliebsame Blicke. Im hinteren Teil der Demonstration sieht man Fahnen der VVN.
Die Demoroute führt einmal um die Gaststätte, in Ruf- und Sichtweite legen die Demonstrant:innen Zwischenkundgebungen ein. Hamburger Gitter und Einsatzhundertschaften der Polizei sollen verhindern, dass sie näher an die Gaststätte herankommen.
Dort reisen in der Zwischenzeit immer mehr Konzertbesucher:innen an. Viele sehen unscheinbar aus, einige ziehen die Kapuzen ihrer Pullover ins Gesicht, sobald sie die Fotograf:innen entdecken. Andere sehen mehr nach Szene aus: Bomberjacke, Camouhosen oder „Fred Perry“-Jacke. Einer der Anreisenden trägt ein T-Shirt der „European Brotherhood“, auf dem in großen Buchstaben „Defend Europe“ zu lesen ist. Auch kommen immer wieder Männer mit „Kategorie C“-Shirts aus der Gaststätte.
Bevor das Konzert überhaupt beginnt, ist die Demo der Antifaschist:innen schon vorbei. Knapp zwei Kilometer sind sie durch Neumünster gelaufen und haben zumindest den Anwohner:innen klar gemacht, dass nicht alle das Treiben in der „Titanic“ gut finden. Immer wieder hörte man aus anliegenden Fenstern Aussagen gegen die Demo oder für die AfD. Gegen 19:30 Uhr packen die Aktivist:innen ihr rotes Fronttransparent wieder ein, auf dem sie fordern, rechte Strukturen aufzudecken und Nazis in die Pleite zu treiben.
Tatsächlich könnte das Konzert die letzte Veranstaltung in der "Titanic" sein, zum Ende des Jahres muss die Gaststätte wohl schließen. Dies bestätigte auch ein Polizist vor Ort. Bereits 2014 musste der „Club 88“ in Neumünster schließen, der über 18 Jahre ein beliebter Treffpunkt von Neonazis war. Ein direkter Erfolg des antifaschisten Protests war wohl beides nicht. Ruhe von rechten Umtrieben scheint Neumünster aber nicht gegönnt. So soll z.B. ein Tattooladen in Neumünster von rechten Akteuren und Rockern mitbetrieben werden, wie ein linker Blog offenlegt.