Fossilen Kapitalismus sabotieren
Ende Gelände hat am Wochenende gemeinsam mit anderen Gruppen die Infrastruktur im Hamburger Hafen blockiert und eine Pipelinebaustelle besetzt. Die Blockaden waren Teil der Aktionstage gegen Flüssiggas (LNG) und Neokolonialismus.




Nach der großen Bündnisdemonstration am Mittwoch, bei der 1.800 Demonstrant*innen durch die HafenCity zogen, und einem Bannerdrop an der Elbphilharmonie am Montag, starten die angekündigten Aktionstage gegen LNG und Neokolonialismus am Donnerstag mit einer symbolischen Aktion in Brunsbüttel. Gut 40 Aktivist*innen blockieren in den Morgenstunden das Werkstor von Yara, einem Düngemittelproduzenten mit hohem Gasverbrauch. “Gas geben beim Gas sparen” steht auf einem Transparent.
“Wir stellen uns dem Bau von Flüssiggas-Terminals entgegen”, erklärt Charly Dietz von Ende Gelände auf der Pressekonferenz am Donnerstag, während die Aktivist*innen in Brunsbüttel weiterhin vor dem Werkstor sitzen. “LNG ist ein Klimaverbrechen”, ergänzt Toni Lux, Sprecherin des System Change Camps. “Natürlich ist es uns wichtig, dass es alle Menschen im Winter warm haben”, so Lux im Gespräch. Aus Sicht der Aktivist*innen müsse man aber beim Gasverbrauch der Industrie sparen, nicht bei den Privathaushalten. “Es ist ein Mythos, dass im Winter alle frieren werden, der Großteil des Gases wird in der Industrie verbraucht”, ordnet Charly Dietz ein.
LNG stammt dabei zu Teilen aus Frackinggas, das zum Beispiel in Mexiko oder den USA gefördert wird. Die Ironie: In Deutschland gelten seit 2017 weitreichende Verbote von Fracking. Bei der umstrittenen Fördermethode entweiche das klimaschädliche Gas Methan, kritisieren die Aktivist*innen. “LNG, welches das russische Gas ersetzen soll, ist schlimmer als Kohle für unseren Planeten”, kritisiert Esteban Servat, ein Aktivist aus Vaca Muerta in Argentinien. Gerade durch die aktuelle Gaskrise sei es notwendig Schlüsselindustrien zu demokratisieren und zu enteignen, fordern die Aktivist*innen. “Wir brauchen eine erneuerbare Energiewende, die dezentral, demokratisch und in Bürger*innenhand ist”, so Charly Dietz. Und genau deshalb blockieren die Aktivist*innen an diesem Wochenende Infrastruktur.
Aber auch die Polizei hat sich an diesem Wochenende vorbereitet: Am Freitagmorgen sperrt sie einen Feldweg nördlich von Brunsbüttel von zwei Seiten ab. Hier sammeln sich Aktivist*innen, einige tragen Schwimmwesten, Neoprenanzüge und T-Shirts gegen LNG; Ihre Gesichter sind bemalt. Die Polizei setzt die Gruppe fest – wegen des “hinreichenden Verdachts, dass das Ziel ihrer Fahrt das Durchführen von Aktionen auf dem Nord-Ostsee-Kanal” sei. Während die Polizei hier Autos und Personen durchsucht und Beweismittel wie Schwimmwesten, Sekundenkleber und ein Bengalo beschlagnahmt, blockieren 250 Aktivist*innen rund 80 Kilometer weiter südwestlich eine Pipeline-Baustellen in Wilhelmshaven. Brunsbüttel und Wilhelmshaven sind zwei der geplanten Standorte für LNG-Terminals in Deutschland.
Bei der Baustellenbesetzung wurden die “Werkzeuge der Zerstörung auch dauerhaft außer Betrieb gesetzt”, teilt Ende Gelände am Wochenende mit. Zum ersten Mal lässt der Aktionsrahmen zu, Anlagen auch über die Präsenz der Aktivist*innen hinaus außer Betrieb setzen: durch Sachbeschädigung und Sabotage.


Parallel zu den Aktionstagen gibt es am Altonaer Volkspark seit Dienstag auch das sogenannte “System Change Camp”. Hier findet das inhaltliche Begleitprogramm zu den Aktionstagen statt: Aktionstrainings, Rechtshilfe-Workshops, Vorträge zu Atomkraft oder Indigenen Kämpfen in Mexiko. Aber auch Workshops zur kritischen “Whiteness”, zivilem Ungehorsam und Geschlechtergerechtigkeit stehen auf dem Programm. Rund 120 Veranstaltungspunkte hat das Camp, hinter dem eine Vielzahl von Gruppen und Bündnissen steht. “Es ist ein Ort der Vernetzung”, erklärt Toni Lux vom System Change Camp. “Wir sind aber auch hier, um – im kleinen Stil – zu zeigen, wie wir uns eine gerechte Welt vorstellen”, macht Toni deutlich. “Zum Beispiel durch die vegane Küche für alle, durch das barrierearme Camp oder auch die Art, wie wir Entscheidungen treffen: im Konsens”.
Vom Camp starten am Samstagmorgen rund 2.000 Menschen mit einer angemeldeten Demo in Richtung Landungsbrücken. Vom Lautsprecherwagen tönt Techno durch die Straßen Hamburgs. Die lila, pinken und goldenen Fahnen der Demoblöcke leuchten in der Morgensonne. Bei einer Zwischenkundgebung in Altona steigen die Aktivist*innen in S-Bahnen – aufgeteilt in einzelnen Demozüge, sogenannten Fingern, geht es in den Hamburger Süden.





Von Neuwiedenthal läuft der goldene Finger am Mittag mit rund 400 Teilnehmer*innen in enger Polizeibegleitung Richtung Altenwerder. Geordnete Demoreihen, die für Ende Gelände typischen Staubschutzanzüge sowie gelbe Regenschirme und goldene Mützen zeichnen das Bild des Fingers. Mehrfach stoppt die Polizei die Versammlung kurz, sie sieht in den Regenschirmen ein Mittel der Vermummung, die Demonstrant*innen argumentieren mit Sonnenschutz. “Break the chains of fossil capitalism” steht auf dem einzigen Transparent; Und das Motto ist Programm. Nördlich des Hamburger Stadtteils Hausbruch, macht der komplette Finger eine Kehrtwende nach links und erstürmt den Bahndamm der einzigen Güterlinie, welche die Containerterminals in Waltershof und Altenwerder mit dem Bahnnetz verbindet. “Wir sind hier genau richtig”, feiern die Aktivist*innen.
Die Proteste richten sich hier auch ganz grundsätzlich gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem als Ursache der Klimakrise. “Häfen stehen nicht nur symbolisch für diese Wirtschaftsweise, sondern sie sind auch elementare Knotenpunkte ihrer logistischen Infrastruktur”, erklärte Liv Roth vom kommunistischen Bündnis “Ums Ganze” im Vorfeld der Aktionen. Die Klimakrise eskaliere Jahr für Jahr und wenn diese Naturzerstörung weitergehe, würden wir unsere Lebensgrundlagen an die Wand fahren. “Die Überwindung des Kapitalismus ist deshalb eine Notwendigkeit”, machte sie deutlich.





Schon auf der Bündnisdemo am Mittwoch solidarisierten sich die Aktivist*innen mit dem Arbeitskampf der Hafenarbeiter*innen, die in den letzten Wochen mit Tarifstreiks Schlagzeilen machten. Sie riefen “Umweltschutz und Hafenstreik: one struggle, one fight”; Auf einem Transparent konnte man “Mehr Kohle nur für Hafenarbeiter*innen” lesen. “Die Aushandlung von sozialen und ökologischen Fragen, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden”, sagt Liv Roth dazu. “Der Hafen ist ein machtvoller Ort, an dem verschiedene soziale Kämpfe ausgetragen werden sollten”.
Auch die anderen Finger erreichen am Samstag ihre Ziele. Der pinke Finger blockiert im Süden Wilhelmsburgs über Stunden eine wichtige Güterlinie in den Hafen, der lila Finger – trotz massiven Einsatzes von Pfefferspray und Schlagstöcken durch die Polizei – die Kattwykbrücke am Kraftwerk Moorburg. Zeitgleich sitzt Extinction Rebellion auf der Köhlbrandbrücke. Für einige Zeit sind damit vier wichtige Verbindungen im Hamburger Hafen blockiert.
Die Polizei reagiert auf die erfolgreichen Blockaden mit Gewalt: auf der Kattwykbrücke setzen sie zwei Wasserwerfer gegen die sitzenden Menschen ein. Und auf den Schienen wird mit Schmerzgriffen geräumt, wer nicht freiwillig aufstehen will. Die Polizei behauptet im Nachgang, sie sei aus dem “Demoaufzug heraus mit Pfefferspray besprüht” worden. Dabei zeigen Bilder von Journalist*innen deutlich, dass es das eigene Pfefferspray war, das die Polizist*innen verletzte.




Trotz der eingesetzten 1.400 Beamt*innen zieht sich die Personalienfeststellung bei vielen Blockadepunkten in die Länge. Es werden mehrere längerfristige Aufenthaltsverbote ausgesprochen und einige Personen in polizeilichen Gewahrsam genommen. Nach gut neun Stunden sind alle Blockaden aufgelöst oder geräumt. Zwischen der Empörung über das Vorgehen der Polizei rufen die Aktivist*innen des goldenen Fingers auch am Schluss noch: “Climate Justice is a human right, not just for the rich and white”.
Besonders die antikoloniale Perspektive hat in der Klimagerechtigkeitsbewegung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ziel ist es, gemeinsam auf Augenhöhe mit Aktivist*innen aus dem Globalen Süden gegen die Klimakrise zu kämpfen. “Wo ich herkomme, zahlt die indigene Bevölkerung den höchsten Preis für LNG: durch Verfolgung, Vertreibung und hohe Leukämieraten”, erzählt Esteban Servat, der im Exil in Berlin lebt. “Ihr müsst das Böse hier zu Fall bringen, während wir das Böse bei uns bekämpfen”, ergänzt Dr. Christopher Basaldú, der zum “Carrizo Comecrudo Tribe of Texas” gehört. “Und ruft euch in Erinnerung: dieses globale, kapitalistische System wurde durch Genozid und Kolonialismus gebaut”. Transnationale Unternehmen und Regierungen würden nicht freiwillig mitmachen, die Klimakrise zu stoppen, fügt Juan Pablo Gutiérrez aus Kolumbien hinzu. “Alle Rechte, die wir im hier und jetzt haben, mussten wir uns durch Revolutionen erkämpfen”.
Transparenzhinweis: Dieser Text wurde in verkürzter Variante im ND Aktuell veröffentlicht.